Eun Hui Lee schafft irreal anmutende Situationen, wenn Sie in ihren sparsam ausstaffierten und subtil zu Papier gebrachten Miniaturen den Lebensalltag einfacher Menschen einfängt. Dabei zeigt ihr Humor und eine außerordentlich lichte Farbigkeit eine hohe Sensibilität für Augenblicke des optischen Genusses, nahe an der Karikatur. Der Umstand, dass sich die Malerin nicht mehr als typische Koreanerin, aber auch nicht als

Deutsche fühlt – oder sie beide Welten in sich verkörpert –, lässt die Protagonisten ihrer meist großformatigen Gemälde durch traumartig-luftige und unspezifische Landschaften reisen, die allerhand Kurioses bereithalten, was den Menschen zum Sammler seiner eigenen Phantasie macht.

(im Text zu der Ausstellung "Ralph Fleck trifft ehemalige Schülerlnnen)

 

Dr. Günter Baumann


Der Kosmos von Eun Hui Lee

 

Im Zentrum der Malerei von Eun Hui Lee stehen Erlebnisse des Alltags und der häuslichen Umgebung. Parallel zu Gemälden auf Leinwand widmet sich Eun Hui Lee farbigen Zeichnungen, gezeichnet und gemalt mit Öl- oder Aquarellfarben, mit Kugelschreiber oder Bleistift auf Papier. Die Kombination von grafischen und malerischen Elementen in den

Papierarbeiten erzielt die Künstlerin durch feine, reduzierte Linien und nur teilweise bemalte Flächen. Die vereinfachte Darstellung mit comic-artigen Figuren in witzig-ironischen Situationen lässt dem Betrachter Raum für eigene Assoziationen.

 

Wichtige Motive sind ihr Menschen, Lebensmittel, Behausungen, aber auch Landschaften gehören zu ihrem thematischen Repertoire. Oft gilt der aufmerksame Blick der Künstlerin dabei Situationen und Motiven des alltäglichen Lebens. Im Vordergrund ihrer Stillleben stehen Essen und Esswerkzeuge, oft spielerisch gegen die Norm kombiniert wie die Brezel

mit Stäbchen oder Chillies mit Besteck. Zentral auf kleinen Porzellantellern liegend, wirken sie wie Hauptdarsteller einer häuslichen Szene. Diese „Porträts“ erscheinen vertraut und familiär, zugleich deuten die Essstäbchen an, dass hier Begegnungen zwischen westlicher und östlicher Esskultur stattfinden.

 

Die Künstlerin beobachtet sich und ihre Lebensweise im Lauf der Zeit: „Obwohl ich Koreanerin bin, bin ich keine typische Koreanerin mehr, die vielen Jahre in Deutschland haben mich verändert. Aber ich bin auch keine Deutsche. In dieser Stimmungslage entstand die Teller-Serie. Butter, die ich in Korea sehr selten gegessen habe, esse ich heute jeden Tag. Das komplette Butterstück auf einem Teller repräsentiert mein Leben

in Deutschland. Repräsentativ für den Frühling sind für mich Gänseblümchen, die man in Deutschland überall sieht. Dass Gänseblümchen auch essbar sind, wusste ich in Korea noch nicht. Es hat mich überrascht. Deshalb habe ich Gänseblümchen als Symbol für

Genuss und Frühling auf einem Teller serviert.“

 

Doch nicht allein die kleinen Dinge des Lebens hat die Künstlerin im Blick. Zwei großformatige Gemälde schildern Szenen aus fernen ozeanischen Ländern, auf denen jeweils ein Fischer mit seinem Fang zu sehen ist, es sind große Fische, die wohl ein Festmahl ergeben werden. Die Fischer versorgen damit wohl ihre Familien mit Speisen, eine alltägliche Aufgabe, die oft auch Frauen haben. Eun Hui Lee zeigt uns Frauen gemeinsam eine schwere Tasche tragen, oder wie sie große Bündel Reisig und Holz

auf dem Rücken transportieren. Mit diesen lässt sich Feuer machen zum Kochen, aber auch für die Wärme im Haus sorgen. In einem anderen Gemälde steht ein riesiges Zelt inmitten einer menschenleeren, blütenübersäte Landschaft. Es erinnert an ein Nomadenzelt in der Weite der Mongolei, das Platz zum Leben und Schutz gegen Kälte bietet. Das Motiv Zelt greift die Künstlerin mehrmals auf, so steht ein kleines gelbes,

rundes Zelt, das Indianerzelten ähnelt, in einer winterlichen Landschaft mit schneebedeckten Tannen. Das eine Bild strahlt Licht und Wärme aus, das andere lässt Kälte spüren, doch in beiden Werken signalisieren die Behausungen eine Zuflucht. Von diesen Landschaften gehen Ruhe und Stille aus, sie bieten die Möglichkeit zu Einsamkeit und Rückzug.

 

Im Fokus der Malerin sind auch Menschenbilder, besonders berührend wirken zwei Selbstbildnisse von 2008. Einmal hat die Malerin den Kopf ins verlorene Profil gewandt und entzieht sich damit dem direkten Blick des Betrachters. Auch im anderen Gemälde, das sie als Halbfigur im Profil zeigt, wirkt sie scheu und zurückhaltend, ebenfalls ohne Blickkontakt mit dem Gegenüber. Beide Selbstporträts legen sich in Form einer

Überblendung über eine weite Landschaft, mit der sie auf magische Art und Weise zu verschmelzen scheinen. Das große quadratische Format, das Porträt leicht überlebensgroß, damit entsteht eine beinahe monumentale Wirkung. Die Künstlerin schildert ihren Umgang damit und die Bedeutung der Motive: „Schon als Kind betrachtete ich oft lange mein Spiegelbild, um die verschiedenen Stimmungen und Zwischentöne zu

analysieren. Ich war fasziniert von bestimmten einzelnen Momenten. Ein kurzer Augenblick für die Welt, ein bleibender Moment für meine Seele. Von Bild zu Bild erweiterte sich mein Horizont. Am Anfang stand das Selbstbildnis, das eigene Zimmer, der Blick aus meinem Fenster, die Landschaften davor. Etwa 2008 ging ich dazu über, statt der

Spiegelungen transparente Figuren über Landschaften erscheinen zu lassen. Die durchscheinenden Schichten brachten meditative, geheimnisvolle Stimmungen und Sehnsüchte zum Ausdruck.“

 

Unter dem lapidaren Titel „Zimmer“ lässt sich ein Interieur mit einem schlafenden Kind entdecken. Auf einer Decke mit großen Karos liegt ein Kind, eingewickelt in einer weiteren Decke, diese mit Streifenmuster. Das Kind wendet dem Betrachter den Rücken zu, lediglich die nackten Füßchen lassen erkennen, dass hier ein kleiner Mensch liegt. Weiße

Kugeln an Schnüren deuten Beleuchtung an, im Hintergrund strahlt eine Wintersonne durch schneebedeckte Tannen. Dies alles ist in zarter, pastellartiger Farbigkeit wiedergegeben, ein wunderbar feines, inniges Porträt.

 

Im Gemälde von 2019 „Sonnenland“ reitet die Malerin in entspannter Rückenlage auf einem Kamel, das kurioserweise ebenso wie die Reiterin einen Mundschutz trägt, der wohl den Staub der Wüste oder auch eine andere Luftverschmutzung abhalten soll. Die „Begegnung“ aus dem selben Jahr schildert ein seltsames Treffen: eine junge Frau, wieder die Malerin selbst, steht staunend vor einem tiefdunkelblauen Universum, das an den nächtlichen Himmel erinnert, jedoch lassen riesige Quallen mit langen Tentakeln eher an die Unterwasserwelt des Ozeans denken. Die kleine Rückenfigur steht staunend davor, sie bewundert offenbar die Schönheit, Vielfalt und Größe der Schöpfung.

 

Eun Hui Lee ist in Südkorea geboren. Nach einem ersten Kunststudium in Seoul lebt sie seit 2003 in Deutschland, wo sie an der Nürnberger Akademie Kunst studierte und Meisterschülerin von Ralph Fleck war. Sie hat ein sehr feines malerisches wie zeichnerisches Temperament. Ihre Kompositionen greifen in den Raum, spielen mit seiner Leere und Fülle, halten diese dabei in subtiler Balance. Wichtige Themen sind für die

Künstlerin Heimat und Zuhause, zugleich untersucht sie aber auch so komplexe Felder wie das Eigene und das Andere. Die Welt wie das alltägliche Leben sind schön, bunt und vielfältig, gelegentlich verwirrend oder gefährlich, manchmal komisch oder grotesk. Es gibt immer wieder neue, oft auch seltsame Begegnungen. Diese Erlebnisse faszinieren Eun

Hui Lee und inspirieren sie zu ihren Bildern. Mit ihren Augen können wir in die nächste Nähe wie in die exotische Ferne schauen. Die Malerin zeigt die Dinge aus ihrer Sicht, aufmerksam, zugewandt und letztlich voller Zuneigung.

 

Dr. Gerlinde Brandenburger-Eisele


Lauter schillernde Kostbarkeiten

 

Bereits seit 2003 lebt die Künstlerin in Deutschland. "Das macht mich freilich noch nicht zur waschechten Deutschen", beteuert sie, "aber eine richtige Koreanerin bin ich sicher auch nicht mehr." Viele der farbenfrohen und detailgenauen Arbeiten von Eunhui Lee spiegeln daher ihre aktuelle Lebenslage zwischen Fremdsein und einer punktuellen Übernahme deutscher Sitten und Gebräuche. Das veranschaulicht zum Beispiel die Bildkombination von asiatischen Ess-Stäbchen mit typisch hiesigen Speisen wie Laugenbreze, "Bauernseufzer", Nürnberger Bratwurst oder "Bamberger" Gebäck-Hörnchen. Nicht autobiografisch motivierte Sinnbilder einer kulturellen Melange sind die von der Malerin auf die fränkische Blumenwiese oder in den deutschen Märchenwald versetzten Zelte innerasiatischer oder nordamerikanischer Nomaden.

Als ein eher heiteres Beispiel für den Erfolg des europäischen Kulturimperialismus malte Eunhui Lee einen afrikanischen Fischer, zu dessen Arbeitskleidung ein pinkfarbener Zylinder-Hutgehört. Ähnliches hat die Künstlerin auf ihren Reisen in ferne Länder tatsächlich gesehen.

Dass die Begegnung mit Fremdartigem die künstlerische Fantasie generell zu beleben vermag, zeigen in der Ausstellung der Slow Art Galerie fast surrealistisch anmutende Bilder vom vorweihnachtlichen Schmücken eines hohen Föhren- Baumwipfels im fränkischen Steckerlaswald oder von jungen Männern, die in aufgeblasenen (!) Luftballons stecken. Alltägliche Mühe und Arbeit, welche weltweit die Basis aller Kultur bilden, symbolisiert im erstaunlichen malerischen Werk von Eunhui Lee die häufige Darstellung von Beförderung schwerer Lasten. Zeugnis des ungewöhnlich soliden kunsthistorischen Wissens der Künstlerin ist nicht nur eine witzige Bildminiatur, die den berühmten "Hasen" von Albrecht Dürer zitiert, sondern vor allem die originelle Verbindung von westlicher Ölmalerei und fernöstlicher Ästhetik.

Letztere zeigt sich in einem äußerst akkuraten Zeichenstil und in der zentralen Freistellung eines einzelnen, klar konturierten Motivs, dessen inhaltliche Bedeutung stets weit über das vordergründig Sichtbare hinausweist. In der Summe ergibt das in jeder Hinsicht schillernde Kostbarkeiten.

Kostbarkeiten, die dann letztlich doch wieder "echt koreanisch" anmuten. Diese Kunst der eleganten Linien, das offenbar immer sichere Gefühl für Ordnung und Ausgewogenheit sowie die Leuchtkraft der Farben erinnern an die auch in Europa berühmte Stillleben- und Genremalerei aus der Herrschaftszeit der koreanischen Yi-Dynastie im 18. Jahrhundert.  

Nürnberger Nachrichten 7. August 2018

Bernd Zachow


Ein Feld blüht in leuchtendem Gelb, und in der Ferne zieht sich ein schmaler dunkler Streifen, wohl ein Waldrand, am Horizont entlang. Dieser liegt ganz tief, und über ihm erstreckt sich ein hoher, weiter Himmel – eine schlichte,  flache Landschaft wäre das, wäre da nicht noch etwas ganz Anderes zu sehen. Denn vor und über dem Feld, und bei genauerer Betrachtung sogar aus den gelben Farbtupfen des Rapsfeldes gebildet, beginnen sich kleine Kreise mit einer roten Umrandung zu erheben, schließen sich zu einem Schwarm zusammen, und dieser Schwarm bildet eindeutig die gemusterte Bluse einer jungen Frau, deren Gesicht aus den differenzierenden Tönungen eines hellen Strifens im Himmel entsteht. Ihre Schwarzen Haare liefern sich  einen koloristischen Wettstreit mit den dunklen Wolken oben am Himmel. Es ist das Profil der Künstlerin selbst, das wie eine unfassbare Erscheinung in und über der Landschaft auftaucht. Beim Nachdenken über diese Erscheinung verlieren sich alle Anhaltspunkte bezüglich der Realität des Abgebildeten.

Handelt es sich vielleicht um eine Spiegelung auf einer Glasscheibe, durch die hindurch das alles betrachtet wird? Aber warum ist dann ausschließlich die Frau zu sehen und sind keinerei sonstigen Lichtreflexe wahrzunehmen? Der Oberkörper scheint sich zudem aus den Flecken des Rapsfeldes geradezu aufzubauen, der Kopf wirkt, als ob er im und nicht vor dem Himmel entstünde. Es wird klar, dass illusionistische Erklärungsversuche am willkürlichen Akt einer Malerei scheitern, die Zwischenräume zu schaffen vermag. Nicht das Abmalen einer Spiegelung wird zum Bildinhalt, sondern das Entwickeln derselben in einem Raum. Beide befruchten sich. Erst zusammen erzeugen sie im Betrachter jene Stimmung, die im Falle des hier gezeigten Selbstporträts von Konzentration, Ruhe und Harmonie geprägt ist. Ein kleines, aber wichtiges Detail dazu ist der Regenbogen, der sich sozusagen im Armansatz befindet. Führt man seine Kurve fort, nimmt er genau die Bewegung auf, in der sich der Kopf nach links neigt. Die Verbeugung auf der Kurve des Regenbogens verbindet wiederum Nah und Fern, Himmel, Horizont und gelbes Feld. Raum und Figur sind Illusionen, optische Phänomene wie ein Regenbogen.

 

Genau unter dem fiktiven Scheitelpunkt des Regenbogens, unter dem herab geneigten Gesicht der jungen Frau, ist unterhalb des horizontalen Waldstreifens eine hellbraune Fläche zu erkennen. Dort hat sich das gemalte Feld gelichtet und die gemalte Farbe ist verschwunden. Die braune Fläche ist einfach nur die Leinwand des Bildträgers. Bie Illusion bekommt eine Leerstelle, einen blinden Fleck, eine bewusste Rückführung auf das Materielle. Von solchen Stellen wieder einzutauchen in die Atmosphäre eines sommerlichen Feldes und in die friedliche, konzentrierte Stimmung, die Haltung und  Blick der jungen Frau vermitteln, macht den besonderen Reiz des Gemäldes aus. Eun Hui Lee hat sich konsequent mit dem Thema des Selbstporträts beschäftigt, bei der sie die eigene Person, häufig als Spiegelbild, verschiedenen Raumsituationen sozusagen einverleibte. Für das Selbstporträt benötigt man das Spiegelbild. Wenn es sich zu einer autonomen Erscheinung löst, den Spiegel beziehungsweise die spiegelnde Oberfläche verlässt, kann es wie auf unserem Gemälde stimmungsvolle Zwischenräume öffnen.

 

Jochen Meister


Stillleben. Symbole. Wunder

 

Heimatland und Wahlheimat sind in Eun Hui Lees Arbeit durchaus ein Thema. Die gebürtige Koreanerin lebt seit 15 Jahren in Deutschland, hat hier ein zweites Kunststudium absolviert und eine Familie gegründet. Viele Dinge, die in ihrem Leben eine große Rolle spielen, sind in Deutschland passiert.

 

Und doch blickt sie mit den Augen einer Koreanerin auf ihre Umwelt und arbeitet mit ihrem ganz eigenen, koreanisch geprägten Streben nach Perfektion an Bildern, die vollkommen präzise und akkurat in der Maltechnik, gleichzeitig fantastisch, symbolhaft und humorvoll in der Themenwahl sind. Lee malt mit Bleistift und Ölfarbe auf Papier, was eine extrem sorgfältige Arbeitsweise erfordert. Im Ergebnis kommen ihre Motive eher leicht und heiter daher mit einem feinen Sinn für ironische Verbindungen und magische Momente.

 

Fröliche Kombinationen asiatischer und deutscher Bestandteile der Esskultur spiegeln einen Teil des Alltags der Asiatin wieder, die neue Lieblingenahrungsmittel wie Butter oder Brezeln für sich entdeckt hat. Ein anderes Thema entstand aus Beobachtungen auf Reisen. Die Transportsituation oder ganz banal das das Tragen und Fortbwegen von Dingen wird, fast wie in einem Cartoon, bunt und Überzeichnet abgebildet.

 

Die Malerin beherrscht die Darstellung von Dingen, Menschen und Tieren gleichermaßen. Absolute Akkuratesse ist das klare Ziel ihrer Maltechnik, Raum für Fantasie lassen hingegen die Motive. Ob die Schale mit Gänseblümchen wirklich gegessen wird und wohin der Fischer seinen buten Fisch schleppt, bleibt der Vorstellungskraft des Betrachters Überlassen.

 

Eun Hui Lee malt Bilder, die wie das Titelbild einer ganz großen Geschichte daherkommen. Ob wir eine bunte Fabel, eine aufregende Story, einen schlichten Alltagsreport oder ein verwunschenes Märchen daraus weiterspinnen, bleibt uns überlassen.

 

-Lydia Schuster, Galeristin von der Slow Art Galerie-